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Die Gleichstellungsbeauftragte war hier

Geras Gleichstellungsbeauftragte traf den Kinder- und Jugendschutzdienst

Gruppenfoto von dem Kinder- und Jugendschutzdienst. © Stadt Gera

„Kinder geben definitiv Signale, hört auf sie!“

30 Jahre an der Seite von fast 3.000 Kindern und Jugendlichen zu deren Schutz und Hilfe bei Gewalt und sexuellem Missbrauch: Kinder- und Jugendschutzdienst Gera

Sie sind Hilfe-Spezialistinnen für Kinder und Jugendliche, die Gewalt erfahren. Sie stehen seit 30 Jahren an der Seite der Kinder und deren Familien. Rund 2.700 Gewaltopfer betreute das Team des Kinder- und Jugendschutzdienstes vom Schlupfwinkel und Sorgentelefon Gera e.V.

Geras Gleichstellungsbeauftragte Catrin Heinrich stellt in ihrer Reihe „GB traf …“ die Mitglieder des Geraer Netzwerkes gegen häusliche Gewalt vor – zu dem das Team des Kinder- und Jugendschutzdienstes gehört. Dessen Leiterin Gisela Göldner informiert hier zusammen mit Kati Dutsch, Pauline Koch, Nicole Köhler und Katja Lange speziell zum Thema Gewalt an Kindern innerhalb der Familie oder Lebensgemeinschaft, um Gewalt von Kindern abzuwenden und zu verhindern:

Für welche Anliegen von Kindern, Jugendliche und deren Familien sind Sie da?

Wir sind da, wenn Kinder und Jugendliche von Gewalt betroffen sind und auch, wenn ein Gewalt-Verdacht besteht. Jeden Hinweis auf Gewalt an Kindern und Jugendlichen nehmen wir ernst: von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt bis zu Vernachlässigung.

Wie helfen Sie Kindern und Jugendlichen?

Ihre Bedürfnisse sind unser Mittelpunkt. Wir versuchen, zusammen mit den Familien oder auch dem Jugendamt für Schutz zu sorgen und beizutragen, dass sich die familiäre Situation stabilisieren und erlebte Gewalt verarbeitet werden kann.

Gelingt dies?

Zu uns kommen oft viele Jahre später Jugendliche und Erwachsene und sagen: „Danke! Ohne euch hätte ich das nicht geschafft.“

Ist Erwachsenen klar, was sie Kindern mit Gewalt zu Hause antun?

Bewusst ist oft nicht, dass gerade bei länger durchlebter Gewalt häufige Langzeitfolgen eintreten wie Sucht, Fehlen in der Schule, Schwierigkeiten, in den Arbeitsmarkt einzutreten, Langzeitkrankheiten oder psychische Erkrankungen.

Das Bundeslagebild 2023 erfasste bundesweit im familiären Umfeld über 8.000 Misshandlungen und sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Wie können sie besser geschützt werden?

Wichtig sind neben Gesetzen und Strafverfolgung unnachgiebige Aufklärung für Frau und Mann, jung, alt. Das fängt an mit dem Wissen um die Ohrfeige, die Gewalt ist und illegitim als Erziehungshilfe.  Es ist wichtig zu wissen, dass sexuelle Gewalt meist im sozialen Nahraum der Kinder und Jugendlichen stattfindet und dass Eltern mit ihren Kindern über ihre Gefühle sprechen sollten. Kinder müssen Begriffe für ihre Körperteile kennen, damit sie sich helfenden Personen erklären können. Kinder sollten ihre eigenen körperlichen Grenzen wahrnehmen lernen, vor allem bezüglich Berührungen von anderen Personen und  mit Vertrauenspersonen darüber reden dürfen, falls jemand diese Grenzen überschritten hat.

Wie wirkt Partnerschaftsgewalt auf Kinder, also Gewalt unter Erwachsenen zu Hause?

Da sind Kinder immer mit betroffen. Und es ist ein Irrglaube, Kinder würden im Nachbarzimmer nichts mitbekommen. Bei heftigen Auseinandersetzungen mit verbaler und körperlicher Gewalt, verspüren Kinder Angst um die Eltern, fühlen sich meist mitschuldig und sehen sich mitunter als Auslöser.

Sie klären in Grundschulen Kinder über Gewalt auf. Mit welchem Effekt?

Wir versuchen die Kinder zu sensibilisieren mit Botschaften wie: „Wenn du merkst, es fühlt sich etwas nicht gut an, dann sprich darüber.“, „Wenn niemand dir hilft, dann gehe an die nächste Stelle, wende dich an Erwachsene, die helfen können.“, „Das ist kein Petzen – das darf man sagen.“

Wir wissen, dass dies für manche Kinder den Impuls gab, sich jemandem anzuvertrauen und damit einen wichtigen Schritt zu gehen.

Womit stärken Sie Betroffene und deren Familien konkret?

Bei Kindern und Jugendlichen versuchen wir, Stress, Angst und Belastungen zu reduzieren sowie das Familien­system zu stabilisieren. Konkret kann das bedeuten: Kinder und Familien durch Traumaberatung stärken, im Strafverfahren bis zum Urteil begleiten, Therapien vermitteln. Leider lässt sich Gewalt nicht ungeschehen mache, – aber zusammen mit weiteren Stellen können wir zu einem Leben möglichst ohne weitere Gewalt verhelfen.

Wieso bleibt Missbrauch an Kindern innerhalb der Familie oft lange verborgen?

Dafür gibt es verschiedene Ursachen. Für manche Erwachsene ist ausgeschlossen, was sie sich nicht vorstellen können. Sie nehmen daher Signale der Kinder nicht ernst. Und diejenigen, die insbesondere sexuelle Gewalt ausüben, schotten die Kinder gezielt von Bezugspersonen ab, zerstören bewusst das Vertrauensverhältnis. Glaubt dann eine Mutter dem Partner, aber dem Kind nicht mehr, ist das Kind schutzlos ausgeliefert.

Eine weitere Ursache ist Verdrängung: Erwachsene, die einst selbst Gewaltopfer waren und das nicht aufarbeiteten, sind häufig aufgrund psychischen Selbstschutzes regelrecht blockiert, auch zu Hause Gewalt überhaupt wahrzunehmen und anzuerkennen.

Wo finden Personen Hilfe, bevor sie Täter oder Täterinnen sexueller Gewalt werden?

Sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen bedeutet Ausüben von Macht und Dominanz mittels sexueller Handlungen. Zur Vermeidung braucht es professionelle Therapien. Überregional gibt es Hilfen für männliche und weibliche potentielle Gewaltausübende, aber nach unserem Wissen in Gera und Umgebung momentan nicht. Hier sehen wir eine wichtige zu schließende Lücke zum Gewaltschutz, gerade auch für Personen, die sich selbst melden möchten, bevor etwas passiert.

Was raten Sie Eltern oder Bezugspersonen, um von häuslicher Gewalt betroffenen Kindern und Jugendlichen zu helfen?

Die meisten Kinder wachsen in gewaltfreien Lebensgemeinschaften auf. Zugleich ist es anspruchsvoll, Kinder zu erziehen. Niemand sagt einem, wie es geht. Zum Thema Gewalt an sich – also nicht nur bei häuslicher Gewalt – raten wir:

  • Hört auf die Kinder: sie geben definitiv Signale. Wenn Kinder ihr Verhalten ändern, ohne, dass es einen Anlass zu geben scheint, sollte das hinterfragt werden und die Kinder ernst genommen werden.  Es ist für uns auch nach 30 Jahren Beratungspraxis einer der schlimmsten Momente, wenn Gewalt offensichtlich stattfindet – aber den Kindern nicht geglaubt wird.
  • Lebt ein gewaltfreies Zuhause und die Stärke vor, nein zu sagen. Das betrifft zum Beispiel unangenehme Berührungen, insbesondere in Tabuzonen wie Brust, Po, Scheide, Penis. Dabei auch alte Rollenbilder abbauen, nach denen Mädchen brav sein müssen und Jungs nicht weinen dürfen. Kinder sollen reden dürfen, sogar beim zwar lieb gemeinten, aber vielleicht als unangenehm empfundenen Kuss der Oma oder des Opas.
  • Eltern können sich auch zur eigenen Stärkung beraten lassen. Eltern müssen selbst stabil und je nach konkreter Situation gut informiert sein: Nur wer sicher steht, kann auch gut halten.

Was ist heute anders als vor 30 Jahren?

Die digitale Welt. Sie erleichtert leider Fremden, sich Kindern und Jugendlichen zu nähern.  Sie bietet aber auch Informationen zum Gewaltschutz, wie zu unserem lokalen Gewaltschutznetz, das eng zusammenwirkt, um professionell fallkonkret zu helfen. Und drittens schließen wir seit zwei Jahren in Kooperation mit der Interventionsstelle und der Stadtverwaltung im Projekt „Sag’s weiter“ eine vorherige Lücke: Wir sprechen mit Kindern und Jugendlichen, die von Partnerschaftsgewalt mitbetroffen sind, ganz zeitnah in akuten Krisensituationen beispielsweise nach Polizeieinsätzen.

Zum Verhindern von Notfällen und Gewalt an Kindern, bitten wir Freunde, Bekannte, Menschen im Umfeld von Gewaltbetroffenen: Helfen Sie mit, dass sich Gewaltopfer beraten lassen von den zahlreichen in Gera und auch überregional vorhandenen Beratungsstellen. Ihre Unterstützung ist oft entscheidend, damit auch Kinder und Jugendliche nicht länger Gewalt erfahren.


„Wir zeigen euch, was ihr nicht seht“

Ausstellung anlässlich 30 Jahre Kinder- und Jugendschutzdienst mit Werken von Kindern und Jugendlichen, die durch die Thüringer Kinder- und Jugendschutzdienste betreut wurden

5. – 9.11.2024, Gera-Arcaden, 1. OG, neben Fischer, während Arcaden-Öffnungszeiten

Sprechzeiten und Kontakt:

Tel.: 0365 552 3020, kjsd@schlupfwinkel-gera.de

Lobensteiner Straße 49, 07549 Gera

Mo – Fr. 9 – 16 Uhr, auch zu anderen Zeiten und Orten möglich

Kinder- und Jugendschutzdienst

Schwerpunkte der Arbeit:

  • Beratung kostenfrei und vertraulich für von Gewalt betroffene Kinder, Jugendliche und zugehörige Erwachsene, für pädagogische Fachkräfte z. B. in Schulen und Kita
  • Präventionsveranstaltungen und Fortbildungen buchbar
  • Begleitung in familiengerichtlichen und strafrechtlichen Verfahren
  • Vermittlung zu weiteren Hilfen

Gewaltschutzeinrichtungen in Gera:

www.gera.de/gleichstellungsbeauftragte

www.handle-jetzt.de

Beratungsstellen überregional:

  •  „kein Täter werden“
  • online “Hilfeportal Missbrauch“