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Tourismus, Freizeit & Kultur
2023

Juni 2023: Aenne Biermann – Kinderhände (1928)

Aenne Biermann: Kinderhände, 1928, 12,8 x 17,0 cm, Neg. Nr. 772
Aenne Biermann: Kinderhände, 1928, 12,8 x 17,0 cm, Neg. Nr. 772

Im Jahr 1930 erschien die Monografie „Aenne Biermann. 60 Fotos“. Das Werk „Kinderhände“ (1928) ziert als Titelbild das Buchcover. In schräger Perspektive ragen die ineinander verschränkten Hände von Aenne Biermanns Tochter Helga dynamisch ins Bild. Sie sind auf einem Rechtschreibheft abgelegt, das zugleich einen gesonderten hellen Untergrund für das Schattenspiel der Finger bietet. Sowohl die feinen Hautlinien und Härchen auf den Armen der Tochter als auch die Maserung des Holztisches sind Details, die zur Bildwirkung beitragen. Die Geraer Fotografin tritt hier als begleitende Beobachterin auf, die sich der kindlichen Welt mit viel Einfühlungsvermögen nähert.

Aenne Biermanns (1889-1933) fotografische Tätigkeit begann mit der Dokumentation der ersten Entwicklungsschritte ihrer Kinder Helga und Gerd. Sind die Fotos der frühen 1920er-Jahre vor allem von familiärem Erinnerungswert, erprobte Aenne Biermann in der Folge zunehmend die Gestaltungsmöglichkeiten des Mediums. Sie richtete eine eigene Dunkelkammer ein und eignete sich als Autodidaktin das notwendige technische Wissen selbst an. Als Motive treten Mineralien, Gesteine, Pflanzen, Landschaften sowie Porträtaufnahmen neben die Kinderbilder. Enge Bildausschnitte, extreme Beleuchtungskontraste und eine ungewohnte Nähe zum Dargestellten prägen ihren Stil. Genau beobachtete Feinheiten bewirken die von Biermann angestrebte „Vertrautheit mit den Dingen“. Mit dem Kunstkritiker Franz Roh, dem Architekten Thilo Schoder und dem Geologen Rudolf Hundt hatte sie wichtige Förderer an ihrer Seite. Zunehmend wurden ihre Fotografien ab 1927 in Zeitschriften abgedruckt, in wichtigen nationalen und internationalen Ausstellungen der modernen Fotografie gezeigt und in Wettbewerben prämiert.

Aenne Biermann. 60 Fotos, 1930, Cover
Aenne Biermann. 60 Fotos, 1930, Cover

In der Zeit der Weimarer Republik hatten Fotobücher wie „Aenne Biermann. 60 Fotos“ Konjunktur. Die Werke der fotografischen Avantgarde wurden im Druck verbreitet. Franz Roh war Herausgeber der Monografie, die als zweiter Band in der von ihm initiierten Buchreihe „Fototek“ erschien. Mit der Fototek verband er die Absicht, die Neue Fotografie der Zeit bekanntzumachen. Diese war bestrebt, dem technischen und gesellschaftlichen Fortschritt mit einem unverstellten Blick auf die Wirklichkeit Rechnung zu tragen. Die Vielfalt alltäglicher und scheinbar nebensächlicher Dinge rückte stärker in den Fokus. Laien, Berufsfotografen und Künstler experimentierten mit Perspektiven, Bildausschnitten und moderner Technik, wie den Kleinbildkameras, die erstmal auf den Markt kamen.

Die Fotobücher selbst besaßen zudem eine pädagogische Ausrichtung. Als realistische Abbildungen der Umwelt boten sie ein zu der Zeit neues Werkzeug der Wissensvermittlung. Auch das 1929 erschienene Buch „Antlitz der Zeit“ von August Sander, einem der einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhunderts, ist in diesem Kontext verortet. Mit seinen Porträts bemühte sich Sander um eine Bestandsaufnahme verschiedener Menschentypen und dokumentierte die Gesellschaft der Weimarer Republik.

Die Fotografie „Kinderhände“, das Buch „Aenne Biermann. 60 Fotos“ sowie bedeutende Porträtfotografien von August Sander sind bis 16. Juli in der Sonderausstellung „August Sander. Spiegel der Zeit“ im Museum für Angewandte Kunst ausgestellt.

Literatur:

Täschner, Katharina: Modernität als visuelles Argument. Aenne Biermanns Bildpublikationen um 1930. In: Aenne Biermann. Fotografin. Hrsg. Von Simone Förster und Thomas Seelig. München, Essen, Zürich 2020. S. 80-84.

Volz, Anna: Forschungsreisen. Die Welt des Kindes in den Fotografien von Aenne Biermann. In: Aenne Biermann. Fotografin. Hrsg. Von Simone Förster und Thomas Seelig. München, Essen, Zürich 2020. S. 51-55.

Rüdiger, Frank: Möglichkeiten der Darstellung – Anmerkungen zu Aenne Biermann. In: … der Sachlichkeit verpflichtet. Aenne Biermann. Fotografien 1926 bis 1932. Gera 2018. S. 4-16.