Juli 2022: Das versteinerte Moostierchen aus der Mülltonne
Das Objekt des Monats Juni im Museum für Naturkunde Gera ist ein Fossil mit dem Namen Bryozoe Rectifenestella retiformis. Ein Mitglied des Vereins Geraer Mineralien- und Fossilienfreunde e. V. übergab es dem Museum im Jahr 2017. Der Spender hatte das Objekt zuvor von einer Bürgerin aus Greiz erhalten, die es 2010 in einem Müllcontainer entdeckt und daraus „geborgen“ hatte. Damals zog ein namhaftes Greizer Gymnasium in ein neues Gebäude innerhalb der Stadt um. Die bis dahin an der Schule befindliche geologische Sammlung wurde bei dieser Gelegenheit zu einem großen Teil entsorgt. Dieser Vorgang fiel auf, sodass das Material größtenteils vor der Vernichtung bewahrt wurde – so auch dieses Fossil.
Die Mitarbeiter im Museum für Naturkunde Gera inventarisierten das Stück und stellten mit Überraschung fest, dass es ein unverwechselbares aufgeklebtes Etikett des Geraer Hobbypaläontologen und Heimatforschers Robert Eisel (1826 – 1917) trägt. Eisel gehörte zu den wichtigsten Sammlern und Kennern der Geologie und der Fossilien des Geraer Zechsteins. Scheinbar nicht dazu passend lag dem Fossil jedoch ein Etikett des „Schlesischen Mineralien-Comptoirs“ von Ernst Leisner zu Waldenburg in Schlesien bei. Leisner war Lehrer und Mineralienhändler in Waldenburg (heute Wałbrzych, Polen), der sich der Geologie verschrieben hatte und Lehrsammlungen von Mineralien, Gesteinen und Fossilien für den Privatgebrauch und auch für Schulen vertrieb. Da Robert Eisel mit enormen Mengen von Fossilien handelte, war klar, dass auch das hier vorgestellte Exemplar von Eisel an Leisner zum Weitervertrieb in dessen Lehrsammlungen verkauft wurde. So gelangte es als Teil einer Lehr- bzw. Schulsammlung des Händlers Ernst Leisner von Waldenburg in Schlesien nach Greiz.
Bei dem Fossil handelt es sich um eine gut erhaltene Kolonie der Bryozoe Rectifenestella retiformis, laut Etikett gefunden in Gera. Bryozoen sind wirbellose, mehrzellige, im Wasser lebende Tiere. Die Bryozoen sind nicht ausgestorben, sie existieren bis in die Gegenwart. Sie ähneln äußerlich den Korallen, denn sie haben wie diese Tentakel und einen sackförmigen Körper. Die einzelnen Tiere sind gewöhnlich sehr klein und haben höchstens einen Durchmesser von einigen Millimetern. Die Einzelindividuen sind durch ein Skelett aus Chitin oder Kalk umgeben, sitzen in kleinen Vertiefungen und bilden eine Kolonie. Das Fossil aus der Mülltonne ist ein Teilstück einer solchen zusammenhängenden Kolonie. Funde von Bryozoen im Geraer Zechstein sind häufig und bekannt. Rectifenestella retiformis gehört jedoch nicht zu den im Stadtgebiet von Gera charakteristischen Vertretern der Bryozoen. Diese riffbildende Art ist typischer an anderen Fundorten, wo sie eine sehr häufige und verbreitete Bryozoenart darstellt. Auch das Gestein, in dem die Kolonie fossil erhalten ist, und die in diesem Gestein enthaltenen Mineralien machen einen für Gera untypischen Eindruck. Durch Vergleiche mit zahlreichen anderen Objekten der Bryozoensammlung des Museums ist das Stück mit hoher Wahrscheinlichkeit dem nahe bei Gera liegenden historischen Aufschluss im Eleonorental in Bad Köstritz zuzuordnen.
Nur durch einen glücklichen Zufall - im Rahmen der unglücklichen Entsorgung einer Sammlung - gelangte dieses interessante Stück 2017, im Jahr des 100. Todestages von Robert Eisel, wieder nach Gera. Dort bereichert es die umfangreiche Zechsteinsammlung des Museums für Naturkunde und steht nun zum Zwecke von Ausstellungen und Forschung zur Verfügung.