„Haben aus der Katastrophe 2013 gelernt“
Gera 10 Jahre nach dem Hochwasser
Heute vor fast genau zehn Jahren glichen Teile Geras einem einzigen großen See. Das Hochwasser der Weißen Elster, das nach tagelang anhaltenden Regenfällen zum kritischsten Zeitpunkt bei 4,58 Meter statt der üblichen rund 50 Zentimeter stand, hatte 2013 cirka 812 Hektar des Stadtgebietes überschwemmt. Mehrere Stadt- und Ortsteile waren zeitweise nur noch per Boot zu erreichen. Der Schaden, den die Hochwasserkatastrophe in Gera anrichtete, belief sich nach damaligen Schätzungen auf 58,4 Millionen Euro. Betroffen waren nicht nur etwa 15.000 Geraer in rund 8.000 Haushalten, auch die kommunale Infrastruktur wurde stark beschädigt und teilweise zerstört. Straßen, Brücken, Sportstätten, Schulen, Museen, Theater, Musikschule und andere Gebäude wurden ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie das Strom-, das Gas- und das Fernwärmenetz sowie die Wasser- und Abwasseranlagen.
„Was vor zehn Jahren in Gera passiert ist, kannten viele Menschen bis dahin nur aus dem Fernsehen. Die sonst recht friedliche Weiße Elster war binnen weniger Tage zu einem reißenden Strom gewachsen, der sich seinen Weg in Straßen, Häuser und Grünanlagen bahnte. Plötzlich stand das Wasser meterhoch im eigenen Keller oder schwappte bedrohlich an der Türschwelle. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass es Gera so schlimm erwischt wie beim Hochwasser von 1954. Umso größer war die Erschütterung und die Angst der Menschen. Für viele Geraerinnen und Geraer waren diese Tage ein prägendes Ereignis, dass man nicht vergisst“, erklärte Oberbürgermeister Julian Vonarb. In Erinnerung geblieben sei neben der teils gespenstischen Stille, die in Teilen der Stadt herrschte, während man beobachtete, ob der Pegel weiter stieg, aber auch die große Welle an Solidarität. „Neben Feuerwehrleuten, Bundeswehrsoldaten oder auch Mitarbeitern des Technischen Hilfswerks und von Hilfsorganisationen engagierten sich hunderte freiwillige Helfer, um nicht nur das eigene Hab und Gut zu retten, sondern auch völlig Fremden durch diese schweren Tage zu helfen. Das konnte ich selbst miterleben: Ich habe den ganzen Nachmittag und Abend des 3. Juni mitgeholfen, Sandsäcke zu befüllen und dabei viele Mitstreiter getroffen, die ebenfalls gekommen waren, obwohl sie selbst nicht betroffen waren. Zu wissen, dass es einen solchen Zusammenhalt in unserer Stadt gibt, ist eine gute Basis für die Zukunft. Denn in Zeiten, in denen Starkregenfälle immer häufiger auftreten, kann es jederzeit wieder dazu kommen, dass die Elster übertritt.“, so Vonarb weiter. In den vergangenen zehn Jahren wurde daher vieles getan, um die Schutzmaßnahmen weiter zu verbessern und möglichen neuen Unwetterkatastrophen anders zu begegnen. Geras Stadtoberhaupt ist sich sicher: „Wir haben aus dem Hochwasser von 2013 gelernt. Wir sind organisatorisch und strukturell heute besser aufgestellt, um die Menschen und unsere Stadt im Falle eines neuen Jahrhunderthochwassers durch zahlreiche Maßnahmen schützen zu können.“
Fort- und Weiterbildungen für den Katastrophenschutzstab
Zu den ersten wichtigen Schritten zählte dabei die Erarbeitung eines Übungskonzepts im Jahr 2014, das gezielt die Frage verfolgte, wie der Katastrophenschutzstab weiter aus- und fortgebildet werden kann. Zudem fand als Fachkonferenz für Hochwasser- und Katastrophenschutz die PROtect Gera im Jahr 2014 erstmalig statt, mit dem Ziel die Ereignisse aus dem Jahr zuvor aufzuarbeiten und zu analysieren.
„Es war erstmal wichtig, dass wir uns neu aufgestellt haben, um die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Ein Resümee der Konferenz war, dass wir mehr üben müssen, um besser auf solche Ereignisse vorbereitet zu sein. So wurden die Strukturen im Katastrophenschutzstab seither deutlich verbessert. Des Weiteren konnte der Katastrophenschutzstab in den vergangenen Jahren verstärkt anhand verschiedener Szenarien beübt und trainiert werden. Zum anderen haben wir gelernt, dass vor allem die Anwohner und Ortsteilbürgermeister viel stärker mit einbezogen werden müssen“, erklärte Kurt Dannenberg, Leiter des Katastrophenschutzstabs der Stadt Gera. Möglich sei dies zum Beispiel über eine Wasserwehr, für die damals der Grundstein gelegt wurde. Offiziell gegründet wurde diese schließlich im Dezember 2020. Momentan besteht die Wasserwehr aus 76 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, die bei der Abwehr von Wassergefahren wie Überschwemmungen, Hochwasser oder Eisgang unterstützen. Zu den konkreten Aufgaben einer Wasserwehr gehören unter anderem die Deich- und Brückenkontrolle, die Anleitung freiwilliger Helfer im Befüllen und Aufschichten von Sandsäcken, Sicherungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr und die Weiterleitung wichtiger Informationen zum Katastrophenschutzstab.
Neben der stärkeren Einbindung der Menschen vor Ort wurden auch bessere Voraussetzungen für den technischen Einsatz geschaffen: „Wir haben Fortschritte in der Fahrzeugbeschaffung und bei der persönlichen Schutzausrüstung gemacht. So verfügen wir heute nicht nur über eine mobile Netzersatzanlage, sondern werden bei Hochwasser z. B. auch Sandsackfüllanlagen oder Abrollbehälter für Logistikzwecke einsetzen können. Mit Drohnen sind wir zudem in der Lage, die Weiße Elster aus der Luft zu überwachen, um Einsatzkräfte zielgerichteter zu koordinieren. Wir haben uns technisch verbessert, um künftig zeitgemäß reagieren zu können“, erklärte Kurt Dannenberg weiter. „Ich glaube, dass die Stadt Gera derzeit über einen der leistungsfähigsten Katastrophenschutzstäbe verfügt, die es in Kommunen und Kreisen gibt. Dennoch müssen wir weiter üben. Denn wer glaubt gut zu sein, hat aufgehört, besser zu werden.“
Zahlreiche Schutzmauern in kritischen Bereichen gebaut
Zu den weiteren Schutzmaßnahmen, die nach 2013 eingeleitet wurden, zählt vor allem der Bau neuer Schutzmauern: 2015 wurden entsprechende Anlagen an der östlichen Seite der Weißen Elster zwischen der Ochsenbrücke und der Zwötzener Brücke errichtet, 2016 im Bereich des Faulenzerwegs, 2018 im Bereich der Tschaikowskistraße und 2019 an der östlichen Seite zwischen Cubabrücke und Untermhäuser Brücke. Die Hochwasserschutzmauer an der westlichen Uferseite dieses Bereiches wurde 2021 fertiggestellt. Grundlage für die Planungs- und Baumaßnahmen seit 2015 bildet das vom Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN) in den Jahren 2012/13 entwickelte Hochwasserschutzkonzept für die Weiße Elster. Dieses wurde nach den Erfahrungen des Hochwassers von 2013 im Jahr 2015 überarbeitet. Demnach sind auch im Stadtteil Debschwitz der Bau einer Hochwasserschutzwand entlang der westlichen Böschungsoberkante der Weißen Elster und die Stabilisierung des Deiches im Bereich Spielwiese geplant. Die vom Freistaat Thüringen dazu beauftragten Untersuchungen und Planungen sind noch nicht abgeschlossen. Zur Verbesserung des Hochwasserschutzes sollen in den nächsten Jahren darüber hinaus in Liebschwitz, Zwötzen, Untermhaus, Milbitz, Thieschitz und Stublach zusätzliche Deiche hergestellt werden.
„Wir haben in den letzten Jahren viel geschafft, es gibt aber auch noch viel zu tun. Der Bau der Schutzmauern ist eine Maßnahme des Freistaats Thüringen. Sowohl die Planung als auch die Finanzierung und Durchführung wird vom Land koordiniert. Doch die Aufgabe, die Schutzmechanismen unserer Stadt weiter zu verbessern, liegt auch in unseren eigenen Händen und wird uns auch in Zukunft weiter begleiten. Ein Hochwasser ist eine Naturgewalt, die jederzeit eintreten kann. Einen völligen Schutz gibt es nicht. Daher können wir uns nur so gut wie möglich vorbereiten und hoffen, dass sich die Bilder von 2013 nicht wiederholen“, erklärte Oberbürgermeister Julian Vonarb.
Neben dem technischen Hochwasserschutz, der in erster Linie der Verbesserung des Wasserrückhalts dient, spielt auch die gezielte Reaktivierung oder Schaffung von Überschwemmungsflächen – sogenannte Retentionsräume – eine große Rolle, um das Risiko von Überschwemmungen bewohnter Gebiete zu verringern. Damit sind tieferliegende Wiesen oder Auflächen am Ufer der Weißen Elster gemeint, die im Falle eines Hochwassers ohne größere Schäden überflutet werden können. Die bekannteste dieser Flächen ist der Hofwiesenpark. Mit der weiteren Umsetzung des Hochwasserschutzkonzeptes sollen in den nächsten Jahren erhebliche Flächen links und rechts der Elster in Zwötzen, Untermhaus, Milbitz/ Thieschitz und nördlich der Bundesautobahn 4 hinzukommen.